„Nicht die Geschwindigkeit, sondern deine persönliche Richtung bestimmen dein Leben.“ Das ist das Credo, nach dem Sandy Steven Weckenmann, Spitzname Sandweck, seine Reisen gestaltet. Für den gebürtigen Stuttgarter ist es nicht interessant, möglichst viel auf einmal zu sehen, sondern sich unterwegs auch innerlich auf eine Reise zu begeben. Heutzutage ist es sehr einfach überall hin zu reisen. Aber was bleibt davon?
Seit vielen Jahren ist Sandy begeisterter Radler. Je nach Lust und Laune fährt er ohne Trainingsplan kurze oder lange Touren. 2020 war er häufig Fahrradfahren, dadurch trainiert und, ganz zufällig, bereit für eine mehrtägige Fahrradreise. Spontan beschloss er mit dem Trekkingfahrrad von seiner Haustür in Stuttgart zum Comer See bis an die Küste Italiens zu fahren. Die Strecke kann mit dem Auto in etwa neun Stunden zurückgelegt werden. Für Sandy stand jedoch das Reiseerlebnis im Vordergrund, denn das Fahrradfahren ist für ihn die schönste Art die Alpen zu überqueren.
Sein Freund Norman und er starteten Ende August auf die siebentägige Radreise. Norman drehte nach vier Tagen um, die restlichen drei fuhr Sandy solo weiter. Die Tagesetappen waren, wie bereits die Vorbereitung, nicht streng durchgetaktet. Mal waren es 50 km, mal 140 km Strecke pro Tag. Mal drei Stunden oder mal acht Stunden Fahrtzeit. Abseits von Leistungs- und Zeitdruck achteten die Radler auf ihren Körper und schauten, was ihnen gut tat an dem jeweiligen Tag. Sandy war so lieb, mir einige Fragen zu seiner Slow Travel-Reise zu beantworten.
Wieso reist du gerne mit dem Fahrrad?
Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass Reisen mit meinem Fahrrad mich am meisten beflügeln. Ich reise mit wenig Gepäck und habe alles dabei, was ich benötige. Mit meinem neuen Trekkingrad kann ich direkt von zu Hause losfahren und mich in neue Abenteuer stürzen. Mir gefällt die Art des Reisens, weil sie entschleunigt und es ermöglicht überall und sofort zu halten. Man ist direkt mit den Mitmenschen in Kontakt und kann mit einem Zelt flexibel übernachten.
Fahrradfahren gibt mir Kraft im Alltag. Auf mehrtägigen Touren merke ich richtig, wie gut ich mich fühle, obwohl ich körperlich viel leiste. Ich benötige den Ausgleich und es gibt mir Energie und Zeit zum Nachdenken. Ich reise auch oft mit meinem umgebauten Van. Dabei ist mir ein großer Unterschied des Gepäcks aufgefallen, also in Bezug darauf, wieviel ich auf die Reise mitnehme. Der Minimalismus des Fahrradreisens ermöglicht einen viel besseren Zugang zur Umgebung. Ohne eine Blechkiste um mich herum bin ich viel näher an den Menschen, die ich auf dem Weg treffe. Ich genieße jedes einzelne Gespräch mit den Menschen. Auch das entschleunigt und erdet mich.
Was hast du vor der Reise geplant?
Die Reise habe ich mit der Fahhrad-App Komoot geplant. Ich schalte normalerweise morgens mein Smartphone ein und wähle die nächste Tour. Den Rest des Tages stelle ich das Handy auf Flugmodus und benutze es nur zum Fotografieren, Navigieren und Dokumentieren der Reise. Abends im Zelt nehme ich dann häufig Kontakt zu meinen Freunden und zur Familie auf. So habe ich den ganzen Tag für mich und werde nicht abgelenkt. Bei meiner ersten Transalp mit dem Fahrrad hatte ich circa zehn Wanderkarten dabei und habe viel Zeit investiert, um immer auf dem richtigen Weg zu sein. Nun kann ich mich auf das Wesentliche fokussieren und habe noch mehr Zeit, um die Natur wahrzunehmen.
Außerdem habe ich mir die beste Reisezeit in Europa ausgesucht. Im Sommer oder im September sind die Chancen gut, dass man sicher über die Alpen kommt. Obwohl ich schon 30 cm Neuschnee auf einer Moutainbike-Transalp im September 2007 hatte. Da ich alle Länder gut kenne, habe ich mich nicht auf die einzelnen Regionen vorbereitet. Auf Sightseeing verzichte ich komplett auf solch einer Reise. Ich halte nur an, wenn wir mir etwas direkt auf dem Weg gefällt, mache aber keine extra Umwege. Ich konzentriere mich lieber auf meine Strecke und genieße die Highlights auf dem Weg Richtung Süden.
Wie hast du entlang der Tour übernachtet?
Im Jahr zuvor hatte ich eine ähnliche Route gewählt, um bei Freunden und über Couchsurfing zu übernachten. Wegen der Pandemie habe ich mir kurzfristig ein Ein-Mann-Zelt und eine neue aufblasbare Isomatte gekauft. Dies ermöglichte mir die komplette Flexibilität. Früher habe ich oft wild gecampt. Bei dieser Reise bin ich jedoch von Campingplatz zu Campingplatz gefahren. Einmal konnte ich bei einem Freund in den Bergen schlafen. Die Campingplätze waren sehr günstig von 5,00 bis 18,00 Euro. Mir war es wichtig sicher zu übernachten und nicht in der Nacht von einem Jäger geweckt zu werden. Auch Hygiene und frische Kleidung sind mir wichtiger geworden. Deshalb würde ich wieder für die Möglichkeit entscheiden, obwohl ich Couchsurfing oder Warm Showers wirklich sehr gut finde, um mit den Menschen aus der Region in Kontakt zu kommen und von ihnen Geheimtipps zu bekommen.
Könntest du die Reise über die Alpen kurz umreißen?
Da ich direkt von der Haustür startete, kann ich sie gedanklich wie einen Film abspielen. Es ging über die Schwäbische Alp ins Allgäu und dann in die hohen Berge der Schweiz. Die Sprache veränderte sich, der Duft und die Temperatur. Besonders schön war für mich die Abfahrt nach Italien. Dabei wurde es immer wärmer und die Natur veränderte sich. Überhaupt war die Flora und Fauna auf der gesamten Strecke wunderschön. Die Strecke verläuft auch entlang alter Gletscher-Überreste, was etwas kühl ist. Auf einmal kommt dann die mediterrane Luft und es wird wärmer.
Ich bin eigentlich jeden Tag Rad gefahren. Nur in Isny haben Norman und ich zu Beginn einen Ruhetag gemacht, weil schlechtes Wetter vorhergesagt war. Es schüttete den ganzen Tag in Strömen. Außerdem hatten wir dort eine Ferienwohnung zur Verfügung und konnten im Warmen und Trockenen schlafen. Die letzten drei Radtage habe ich mit einer Bahnfahrt direkt ans Meer verkürzt, weil eine dreitägige schlechte Wetterfront vorhergesagt war. Ich versuche auf meinen Reisen flexibel zu bleiben und mich den Gegebenheiten anzupassen. Geld habe ich während der Reise nur für Essen und Übernachtungen ausgegeben. Wenn möglich habe ich regional und saisonal eingekauft.
Mein persönliches Highlight der Reise war die schöne Auffahrt zum Albulapass. Die Straße ist gesperrt für große Fahrzeuge und das Wetter war herrlich, um in den Schweizer Bergen die Höhen zu erklimmen. Die Rückfahrt erfolgte übrigens auch mit dem Fahrrad, nachdem ich mich einige Tage am Meer ausgeruht hatte. So war der CO2-Fussabdruck meiner Reise ziemlich gering.
Wo hast du die schweizerische und italienische Kultur wahrgenommen?
Es ist, wie schon gesagt, viel einfacher auf dem Rad angesprochen zu werden, als mit dem Auto unterwegs zu sein. Außerdem schätze ich es kein Nummernschild bzw. eine länderspezifisches Erkennungsmerkmal zu präsentieren. Auf dem Fahrrad sind alle Menschen gleich und man trifft auch viele Menschen, die in die gleiche Richtung fahren. Es ist eine Mischung der verschiedenen Kulturen. Man genießt den gemeinsamen Moment und unterhält sich ein Stück des Weges miteinander. Ich lerne immer sehr viel von meinen Mitreisenden.
Außerdem hatte ich aus Gewichts- und Platzgründen auf meinen Gaskocher verzichtet und bin jeden Tag Essen gegangen, wenn möglich bei kleinen familiengeführten Restaurants. Dadurch kam ich auch gut in Kontakt mit Einheimischen. Ich hatte mir auch erhofft, bei einem Bauern zu übernachten. Das ist mir aber leider nicht gelungen. Nur am ersten Abend konnten wir spontan in einer Garage von einem lieben Mann übernachten, weil wir davor im Lokal gefragt hatten, ob jemand einen Garten hat, wo wir unser Zelt aufschlagen könnten.
Was hast du von der Reise zurückgebracht?
Ich habe die Leichtigkeit nach Hause gebracht. Es hat mir gut getan, immer in eine Richtung zu reisen und den Tag zu genießen. Es ist schön ohne To-do-Liste einfach in den Tag zu leben. Souvenirs kaufe ich mir sehr selten, weil Sie nur Staubfänger sind. Es ist aber immer schön zu entspannen und eins mit dem Fahrrad zu werden. Eine Transalp führt mich zu meinem inneren Ich und ich spüre die vollkommene Zufriedenheit.
Was hältst du von Slow Travel?
Als Slow Traveller habe ich mehr Zeit für die Kleinigkeiten, die auf dem Weg passieren, sie zu erkennen und wahrzunehmen. Ich möchte jedes Jahr mindestens einmal als Slow-Solo-Traveller unterwegs sein und die Zeit für mich genießen.
Allerdings weiß ich nicht, ob Slow Travel als Reiseform für jeden geeignet ist. Ich finde jeder muss selbst seine Art des Reisens erkennen. Für mich ist es eine Mischung aus Van-Life und Fahrradtouren. Ich möchte aber niemanden überzeugen oder überreden. Slow Travel ist natürlich nachhaltiger, aber es sollte jedem auch Spaß machen.
Sandys Reisen können auf seinem Reise-Blog und Instagram verfolgt werden.
Interview von Anika Neugart.
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