Der Campingbus der 1970er erlebte in den letzten Jahren ein Revival. Mit dem eigenen Miniwohnmobil zu vereisen ist angesagt und hat mit dem Begriff Van-Life ein hippes Image erhalten. Es ist Lebensstil und Reiseart in einem. Die Camper leben in ihrem Bus und arbeiten von unterwegs. Die Grenzen zwischen Alltag und Reise verschwimmen. Manche haben auch einen festen Wohnsitz und nutzen den Campingbus für lange und kurze Trips. Die werden in der Szene „Teilzeit-Vanlifer“ genannt.
Bei den Bussen selbst sind zahlreiche Modelle vertreten. Neben älteren Exemplaren mit eigenem Ausbau gibt es auch neue Busse, die professionell zum Wohnmobil umgebaut sind. Alle Varianten und Marken sind möglich. Es kann beispielsweise auch ein ehemaliger gelber Post-Bus sein. Die Gruppe der Van-Life-Community ist stark vernetzt (#vanlife in den Sozialen Netzwerken). Es finden in zahlreichen Ländern bereits Van-Life-Treffen statt, zu denen all jene anreisen, die sich der Gruppe zugehörig fühlen. Die liebevoll eingerichteten Busse werden ausgestellt und Tipps zu Umbaumaßnahmen, Stellplätzen sowie guten Reisezielen ausgetauscht. In der Schweiz gibt es sogar einen Van-Life-Verein.
Im Internet präsentieren sich die Reisenden auf ihren Betten vor der offenen Bustür, in der Regel mit Blick auf eine traumhafte Naturkulisse. Das suggeriert Naturnähe, Abgeschiedenheit, Genuss und viel Ruhe. Das Reisen im Van-Life-Stil wirkt wunderbar. Ich fragte mich allerdings: Ist Van-Life überhaupt Slow Travel? Mir fielen sofort eine Vielzahl Kontra-Argumente ein. Für diesen Artikel habe ich Benjamin, einen Busbesitzer befragt. Als Mitglied der Van-Life-Community sieht er im Camper viel Potential für Slow Travel. Die Themen Nachhaltigkeit und Achtsamkeit spielen auch in seinem Leben eine größere Rolle. Er lieferte folgende Pro-Argumente:
PRO. Van-Life ist Slow Travel
Nachhaltigkeit: Das von A nach B kommen ist mit einem Campingbus, der bis zu 10 Liter Diesel auf 100 km verbraucht natürlich nicht „öko“. Ich sehe beim Reisen aber die Gesamtbilanz. Dafür habe ich beispielsweise einen viel geringeren Wasser- und Stromverbrauch als Reisende, die in Hotels unterkommen. Der Abfall beschränkt sich auf ein Minimum und wird mitgenommen. Lebensmittel werden alle aufgebraucht. Die können in einem kleinen Kühlschrank auch schwer übersehen werden. Übrigens ist es gerade hip, sich Solaranlagen auf den Bus zu bauen. Stellplätze mit Stromanschluss waren gestern. Es macht auch einen Unterschied, ob man alleine im Bus verreist oder mehrere Personen mitfahren.
Erholung in der nächsten Umgebung suchen: Das geht mit dem Campingbus auf jeden Fall und ist ein Vorteil des Van-Life. Kurz ein paar Kilometer gefahren und man ist raus aus der Stadt und in der Natur. Wer muss da weit weg?
Den Transport als Reise wahrnehmen: Der Mehrwert des Busses ist das Freiheitsgefühl beim Fahren und die Liebe zum Campen. Der Fokus der Reise liegt schon auf dem Transportmittel.
Pausen: Bei der Reise mit dem Bus bleibt Zeit für Pausen, dort stehen zu bleiben, wo man gerade ist. Das geht mit einem Zug oder Flieger nicht. Ich zelebriere Pausen gerne und suche mir dafür bewusst einen Ort abseits der befahrenen Straße. Van-Life kann „slow“ sein. Es gibt keine Regel, dass Campingbusse von Slow Travel ausgeschlossen sind. Das langsame und achtsame Reisen geht in jeder Form. Ich versuche z. B. in der Geschwindigkeit meiner Aufnahmefähigkeit zu reisen und nicht Eindrücken hinterher zu jagen.
Abseits der Masse: Bei Van-Life reist man abseits ausgetretener Pfade und übernachtet nicht zwingend auf konventionellen Campingplätzen. Auf der Online-Karte park4night.com sind beispielsweise viele Orte zum Kampieren markiert, die nicht für Camping gedacht sind. In Deutschland gilt für Wohnmobile und Vans: Schlafen ist erlaubt, campen nicht. Hat der Bus kein Vorzelt und Stützen ist es also kein Camping. Von mehrtägigen Aufenthalten ist auch abzusehen.
Sozialer Kontakt: Bei der Stellplatzsuche spreche ich auch häufig Menschen an. Van-Life hat viel mit Kommunikation zu tun. Mit den anderen Campern kommt man in der Regel auch schnell ins Gespräch. Sollen bei Slow Travel nicht Beziehungen mit der Umgebung entstehen? Das passiert mit dem Campingbus definitiv.
Das lokale Leben kennenlernen: Es gibt außerdem ein tolles Angebot des Stellplatzführers Landvergnügen. Da hat man Zugriff auf gratis Stellplätze bei Bauernhöfen, quasi „a la ferme“. Im Gegenzug kaufen die Camper regionale Lebensmittel beim Bauernhof. Die Mitgliedschaft kostet im Jahr nur 34,90 Euro. Das System kippt natürlich, wenn die Leute dann den Stellplatz nutzen, aber bei Aldi und Co einkaufen. Es ist ursprünglich so konzipiert, dass die Reisenden in Kontakt mit den Einheimischen kommen und quasi das Leben auf dem Land kennenlernen.
Lokale Produkte: Ich selbst kaufe gerne bei solchen Höfen oder auch an Straßenstränden ein. In meinem Bus habe ich auch immer Behälter dabei, damit ich verpackungsfrei einkaufen kann. Das Leergut kann man übrigens bei Höfen und Straßenständen meist zurückgeben.
KONTRA. Van-Life ist nicht Slow Travel
Nachhaltigkeit: Wie Benjamin bereits erwähnt hat, haben Campingbusse allen voran eine schlechte Ökobilanz. Die Besatzung beim Van-Life besteht meist aus nur ein bis zwei Personen. Damit ist der Bus weniger ausgelastet als ein Auto ab drei besetzten Plätzen. Die Abgaswerte sind insbesondere bei alten Bussen schlecht. Außer der Besitzer ließ sich vor dem Reisen einen kostenintensiven Diesel-Katalysator einbauen. Im Endeffekt ist die Fahrt mit Zug oder Fernbus natürlich besser für das Klima.
Sozialer Kontakt: Bei Slow Travel geht es um den Kontakt zu Einheimischen. Personen, die Teil der Van-Life-Community sind, bleiben beim Übernachten oder den Van-Life-Treffen aber eher unter sich.
Das lokale Leben kennenlernen: Wer nicht gerade Mitglied bei Landvergnügen ist, nutzt auch nicht wirklich die einheimischen Übernachtungsangebote. Die Reisenden schlafen im eigenen Transportmittel. Um Geld zu sparen oder einen schönen Ort für sich zu haben, parken sie gerne in Seitenstraßen, Wäldern oder an nahen Gewässern. Bei vielen solcher freien Parkplätze sind Übernachtungen zunehmend verboten. Das birgt Konfliktpotential mit den Anwohnern. Ein weiteres Problem ist, dass es an diesen Stellen keine Toiletten und Mülleimer gibt, wie beispielsweise bei Stellplätzen an der Nord- und Ostsee. Die Infrastruktur ist nicht auf Camping ausgelegt.
Massentourismus: Immer mehr Camping-Anbieter stellen sich auf die Van-Life-Community ein. Es gibt mittlerweile riesige Stellplätze für über 100 Fahrzeuge. Diese werden sehr gut angenommen. Van-Life droht zum Massentourismus zu werden. Das passt auch zur Definition, die beispielsweiße Redbull von formuliert. Dort geht Van-Life u. a. mit dem Begriff „Selbstverwirklichung“ einher –ein aktueller Trend zur Abhebung von anderen, mit dem sich so ziemlich alles verkaufen lässt.
Umweltbewusstsein und lokale Produkte: Die häufig genannte Naturverbundenheit des Campingbus-Daseins ist fraglich. Nicht jeder reist so umweltbewusst, wie Benjamin. Viele trennen weder Müll noch kaufen sie regionale Lebensmittel. Da die Nahrungsmittel in Deutschland günstig sind, wird eher vor der Reise im heimischen Supermarkt eingekauft. Die ersten Tage versorgen sich die Reisenden dann aus dem eigenen Vorrat. Lokale Shops oder Hofläden werden dann nicht genutzt. Dafür bekannt, häufig ins Restaurant zu gehen, sind Camper auch nicht.
Technik und Internet: Während für Benjamin oberstes Ziel beim Reisen die Ruhe ist, stehen bei anderen WLAN und Fernsehempfang an erster Stelle. Digital Detoxing geschieht bei Van-Life, wenn dann unfreiwillig. Wie sollen sonst auch die hübschen Bilder auf Instagram geladen werden?
Fazit
Insgesamt zeigt die Diskussion, dass es stark auf die innere Einstellung des Reisenden ankommt. Benjamins Reisen sind von vornherein auf Umweltschutz und Achtsamkeit ausgelegt. Er macht vieles nach dem Slow Travel-Prinzip und damit gegensätzlich zu den konventionellen Van-Life-Reisenden.
Van-Life kann Slow Travel sein, wenn:
- Die Reise in den nächsten Umkreis führt und/oder die Sitzplätze gut ausgelastet sind.
- Der Weg das Ziel ist.
- Sich Zeit für Pausen genommen wird.
- Öffentliche Stellplätze ohne Spuren und Müll sauber verlassen werden.
- Im Campingverhalten auf Umweltschutz geachtet wird (Wasser- und Stromverbrauch, Mülltrennung, keine Chemietoilette, etc.).
- Der Reisende mit Nicht-Campern und Anwohnern in Kontakt tritt, außerhalb der Van-Life-Bubble.
- Lokale, kleinere Übernachtungsangebote, wie Bauernhof-Stellplätze genutzt werden.
- Angebote, wie Restaurants, Hofläden, Straßenstände, Lebensmittelmärkte der Einheimischen angenommen werden.
Artikel von Anika Neugart