In den Urlaub zu fliegen ist vor allem für uns Deutsche eine Selbstverständlichkeit. Mit einem deutschen Reisepass genießen wir weltweit große Reisefreiheit: wie die Südkoreaner können wir visumfrei in 189 Staaten einreisen.[1] Doch sind Flugreisen angesichts des Klimawandels und Schäden durch Massentourismus noch zeitgemäß?
Die Initiative Slow Travel Journey von sechs jungen Frauen findet: „Nein“. Sie rufen zu „Staycation“ auf, daheim zu bleiben und nur in die nähere Umgebung zu verreisen. Flugreisen gehören für sie nicht zu Slow Travel. Sie verzichten freiwillig ein Jahr auf das Fliegen.[2] Ihrer Flug-Fasten-Aktion „The Year of Slow Travel“ können sich Interessierte anschließen.
Auch ich habe mir bei der Beschäftigung mit Slow Travel Gedanken gemacht, ob Flugzeuge als Transportmittel in Frage kommen.
PRO. Fliegen ist Slow Travel
Ursprüngliche Definition: Der Slow Travel-Trend geht auf die Amerikanerin Pauline Kenny zurück. Sie nutzte den Begriff seit dem Jahr 2000 (Entstehungsgeschichte)[3]. Es ging vielmehr darum, achtsam und bewusst zu reisen, um tiefere Einblicke in den Urlaubsort zu erhalten. Ab 2006 entstanden neue Auslegungen: Slow Travel wurde auf Zugreisen beschränkt und Flugzeuge wurden als verboten angesehen. Laut der Trendsetterin waren Flugreisen bei Slow Travel jedoch nie ausgeschlossen.
Tourismus-Industrie: Urlaubs-Destinationen profitieren vom Tourismus durch Flugreisen. Viele Einheimische arbeiten in der Tourismus-Industrie, sei es als Fremdenführer, Übersetzer, Fahrer, Kellner, Koch, Performer oder Organisator. Selbst Menschen ohne Bildung, die in der ländlichen Gegend wohnen, können ihre lokalen Produkte verkaufen oder Zimmer anbieten. Slow Traveller streben an, die lokale Wirtschaft bei Reisen zu unterstützen. Ohne Flugzeuge kämen sie und ihr Portemonnaie gar nicht erst vor Ort an. Viele Menschen in beispielsweise Asien, Afrika oder Südamerika müssten um ihre Existenz bangen, die sich auf den Tourismus stützt.
Transportmittel mit Mehrwert: Für viele ist der Start und die Landung beim Fliegen sowie der Ausblick auf die Wolken und Berge ein wunderbares Reiseerlebnis. Dazu gibt es warme Mahlzeiten, alkoholische Getränke sowie ein vielschichtiges Unterhaltungsangebot während des Fliegens (manchmal extra bezahlt). Für manche können Flugreisen zur Ruhe-Oase werden.
Aufenthaltsdauer: Es gibt Menschen, die für ein Shopping-Wochenende nach Mailand oder Madrid fliegen. Für sie ist das Flugzeug der neue Fernbus. Auf die Ökobilanz der Reise achten sie nicht. Ein Aufenthalt vor Ort kann aber auch länger sein. Bei Slow Travel wird die Reisedauer und -intension gegeneinander abgewogen. Es muss entsprechend im Verhältnis stehen. Wer ein Auslandsjahr in Kanada oder Australien plant, entscheidet sich auch als Slow Traveller für das Flugzeug als Transportmittel. Eine Shopping-Reise nach Mailand wird eher mit dem Bus oder Zug unternommen.
Verzicht: Slow Travel soll keinen Verzicht darstellen. Wieso also auf Flugzeuge verzichten, wenn es das Reisen so vereinfacht?
KONTRA. Fliegen ist nicht Slow Travel
Stressfaktor Flugreise: Manche Slow Traveller kritisieren das schnelle Reisen mit dem Flugzeug. Es sei das notwendige Übel, das in Kauf genommen würde, um schnell an den Urlaubsort zu gelangen. Der Ankunft wird entgegengefiebert, während die tatsächliche Reise gar nicht wahrgenommen würde.[4] Entsprechend mindert der Flug die Qualität der Reise.
Langsame Transportmittel: Bei Slow Travel ist der Weg das Ziel. Die Reisenden wählen ein langsames Transportmittel, das einen Mehrwert bietet. Der Transport wird als Teil der Reise verstanden. Das heißt, für eine Reise von Deutschland nach Polen wird lieber ein Zug oder Fernbus gewählt, als in einen Billigflieger zu steigen. Während der Anfahrt kann die Landschaft betrachtet und sich auf den Urlaubsort vorbereitet werden. Vielleicht entstehen neue Bekanntschaften.
Luxus und Privileg: Früher war Fliegen Luxus – ein selten genutztes, besonderes Transportmittel. Auf Flugreisen wurde jahrelang gespart. Reisen auf andere Kontinente wurden selten, vielleicht nur einmal im Leben unternommen. Die junge Generation konnte sich Fliegen gar nicht erst leisten. Heute können Teenager nach dem Schulabschluss auf Weltreise gehen und empfinden das als normal (ich selbst kann mich hier nicht ausnehmen). Mittlerweile gibt es Flugreisen zu Dumping-Preisen. Es gab bereits Aktionen von Fluggesellschaften, wie Ryanair, bei denen Flüge verschenkt wurden.[5]
Gleichzeitig ist das Fliegen immer noch Privileg der vergleichsweise Reichen. Nach Schätzungen teilt ein Fünftel der Weltbevölkerung die jährlichen Flüge unter sich auf.[6] Menschen aus Entwicklungs- und Schwellenländern möchten diesen Lebensstandard noch erreichen. Das heißt, Milliarden Menschen warten darauf, endlich selbst das luxuriöse Transportmittel Flugzeug zu nutzen. Die westliche Welt lebt es ihnen vor. Nur ist es angesichts des Klimawandels und der Billigpreise Zeit, Flugzeuge wieder als das anzusehen was es ist: ein Luxusgut.
Belastung fürs Klima: Fliegen schadet dem Klima. 2017 stammten ganze 859 Tonnen der globalen, energiebedingten CO2-Emissionen von Passagierflugzeugen. Neben CO2 stoßen Flugzeuge andere Schadstoffe aus, welche den Klimawandel zusätzlich vorantreiben. Auch der Wasserdampf, der durch das Verbrennen des Kerosins entsteht, ist schädlich fürs Klima. Durch ihn bilden sich Eiswolken in acht bis 13 km Höhe (Zirruswolken). Diese lassen viel Sonnenlicht hindurch, reflektieren jedoch Wärmestrahlung zurück auf die Erde. 4 bis 5 % der jährlichen Erderwärmung wird der zivilen Luftfahrt zugeschrieben. [7]
Wer seinen persönlichen CO2-Fußabdruck senken möchte, sollte auf Flüge verzichten. Ein längerer Flug verursacht auf einmal so viele Emissionen, wie manche Menschen in Afrika in einem ganzen Jahr produzieren.[8] Ein Flug von Frankfurt nach Los Angeles verursacht derzeit 1.370 kg CO2-Emissionen.[9] Im Durchschnitt liegt der CO2-Fußabdruck eines Deutschen bei 8.400 kg pro Jahr. Der durchschnittliche Fußabdruck weltweit beträgt 4.800 kg (Stand 2018).[10]
CO2-Ausgleich bringt nichts: Es gibt Anbieter, wie atmosfair und myclimate, über die Reisende den CO2-Ausstoß ihres Flugs ausgleichen können. Der Betrag für die freiwillige Kompensation errechnet sich aus Flugzeugtyp und Strecke. Für einen Hin- und Rückflug von München nach Wien sind es beispielsweise etwa 10,00 Euro. Das Modell der Firmen steht allerdings in Kritik. Es wird angekreidet, dass die Kompensations-Projekte in der Realität keine Emissionen reduzieren. Die Gelder würden für Projekte in Afrika, Südamerika oder Südostasien verwendet, da es dort günstig sei. Aber dadurch entständen Konflikte unter den Einheimischen und Menschenrechtsverletzungen. Wer seine Emissionen ausgleichen müsse, lebe offensichtlich über den eigenen Grenzen. Daher sei es besser gar nicht erst zu Fliegen.[11]
FAZIT
Beim Thema Flugzeug ist die Haltung der Slow Traveller gespalten. Manche streichen das Fliegen gänzlich als Fortbewegungsmittel, andere nutzen es weiterhin, z. B. für längere Auslandaufenthalte. In die Entscheidungsfindung spielen Aspekte, wie Reisedauer und Umweltverträglichkeit hinein. Flugreisen sind bei Slow Travel nicht „verboten“, werden aber vermieden. Faktenbezogene Gründe gibt es genug: es geht um Achtsamkeit und den Erhalt unserer Erde.
Lesetipp: Eine schöne Diskussion zu dem Thema erschien beim Magazin fluter. „Reise ins schlechte Gewissen“ (2016)
[1] Die Corona-Pandemie nicht beachtet, Stand 2021. Vgl. Travelbook (2021): Die Pässe mit der größten Reisefreiheit weltweit, In: https://www.travelbook.de/reisen/visa-restrictions-index-welt-ranking-der-reisepaesse (01.02.2021).
[2] Natürlich macht es kaum einen Unterschied, wenn jemand ein Jahr auf das Fliegen verzichtet. Aber die Aktion basiert auf der Annahme, dass Menschen, die für ein Jahr auf das Flugzeug verzichten auch in Zukunft ihre Transportmittel achtsamer wählen. Wie jemand, der einmal die Woche vegetarisch isst und später zum Vegetarier wird.
[3] Statement von Kenny, Pauline (2019): What is Slow Travel?, In: https://www.sloweurope.com/community/resources/what-is-slow-travel.140/ (26.09.2020).
[4] Vgl. Gardner, Nicky (2009): A Manifesto for Slow Travel, In: https://www.slowtraveleurope.eu/slow-travel-manifesto (01.02.2021).
[5] Vgl. Gibbons, Brett (2020): Ryanair giving away thousands of free flights in massive Black Friday sale, In: https://www.dailypost.co.uk/whats-on/whats-on-news/ryanair-giving-away-thousands-free-19356529 (01.02.2021).
[6] Vgl. Weiß, Marlene, Benedict Witzenberger (2019): Wie sehr Fliegen dem Klima schadet, In: https://www.sueddeutsche.de/wissen/klima-fliegen-co2-grafik-1.4534651 (01.02.2021).
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Periskop (2021): It’s about more than just CO2: The total climate impact of aviation, In: https://stay-grounded.org (01.02.2021).
[9] Berechnet mit dem Flight Carbon Footprint Calculator: https://calculator.carbonfootprint.com/calculator.aspx?lang=en-GB&tab=3 (04.02.2021).
[10] Vgl. Statista Gmbh (2020): CO2-Emissionen pro Kopf weltweit nach ausgewählten Ländern im Jahr 2018, In: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167877/umfrage/co-emissionen-nach-laendern-je-einwohner/ (04.02.2021).
[11] Vgl. Periskop (2020): 10 Reasons Why Flying Like Before Covid Is A Really Bad Idea, In: https://stay-grounded.org/10-reasons-why-flying-like-before-covid-is-a-really-bad-idea/ (01.02.2021).
Artikel von Anika Neugart.
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18. Februar 2021
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