Im zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung des Slow Travel-Trends stehen die Protestbewegungen gegen den Massentourismus. Es ist auch von „Overtourism“ die Rede, was ein schädliches Übermaß signalisiert. 2014 entstand in Spanien, einem der beliebtesten Urlaubsorte weltweit, die Tourists Go Home-Bewegung. Barcelona hat jährlich rund 9 Millionen Übernachtungsgäste, was an die Toleranzgrenze der Einheimischen stößt. Neben dem Hashtag #touristsgohome auf Twitter entstanden Youtube-Videos, in denen z. B. die Frage aufkam, warum es denn Touristen-Saison heiße, wenn man nicht auf sie schießen dürfe. Kritisiert wurde u. a. Binge-Tourismus und der exzessive Alkoholkonsum der Besucher. Ein weiterer Faktor für die Unzufriedenheit der spanischen Bevölkerung wird in den extrem hohen Mietpreisen Barcelonas vermutet. Über die Mietplattform Airbnb vermieteten viele Städter illegal Wohnungen an Touristen. Das führte zu einer Verknappung auf dem Wohnungsmarkt und steigenden Mietpreisen. Dieses Problem ist überall auf der Welt in hoch frequentierten Städten und Regionen zu finden.[1]
Graffitis mit Slogans „Tourists Go Home“ und „Fuck Airbnb“ waren später auch in der italienischen Hafenstadt Venedig zu lesen. Die Einheimischen leiden dort schon lange unter dem Massentourismus. Während Venedig nur etwa 50.000 Einwohner hat, wird die Stadt von rund 60.000 Touristen täglich besucht. Diese verhalten sich teils rücksichtlos, verschmutzen die Straßen mit Müll und fotografieren Einheimische ungefragt.[2] Die Stadtverwaltung stellte mittlerweile Verhaltensregeln auf und bittet um einen respektvollen Besuch Venedigs. Die Regeln enthalten nicht in der Lagune zu schwimmen, die Stadt nicht in Badekleidung zu besuchen, keine Fake-Artikel zu kaufen sowie keine Liebes-Vorhängeschlösser anzubringen. Auch gibt es eine App, die den Einheimischen überfüllte Plätze und Straßen anzeigt.
Venedig wird darüber hinaus regelmäßig von Kreuzfahrtschiffen angesteuert, die größer sind als die höchsten Kirchen vor Ort. Die Schiffe verschmutzen das Wasser mit Öl, was auch die Holzfundamente der historischen Gebäude beschädigt. Um einen Besucherrückgang zu erwirken, waren daher für Juli 2020 bereits Eintrittsgelder für Tagestouristen geplant. In anderen touristischen Orten, wie Amsterdam und Paris, gibt es solche Maßnahmen gegen Overtourism bereits in Form einer erhöhten Tourismusabgabe.[3] Das Vorhaben wurde in Venedig jedoch nicht umgesetzt. Dies lag an der Überflutung der Stadt im November 2019 und an der Covid-19-Pandemie, die zu Reiseverboten und Lockdowns im Frühjahr 2020 führte.[4] Trotz Protesten der Einheimischen legten Kreuzfahrtschiffe ab Juni 2020 wieder in Venedig an. Es schien als habe sich nichts geändert – bis nun im Juli 2021 ein Einfahrtsverbot für Kreuzfahrtschiffe entschieden wurde, nicht durch die Stadt Venedig, sondern durch die italienische Regierung. Die Politiker sehen darin einen wichtigen Schritt, um die Lagunenstadt zu schützen und zu erhalten. Sie reagieren dabei auf den Vorschlag der Unesco, Venedig auf die Negativ-Liste des gefährdeten Welterbes zu setzen. Das Verbot gilt ab 01. August 2021.[5]
Neben Barcelona und Venedig sind die Reisedestinationen Mallorca und Dubrovnik, die Insel Santorin sowie Südostasien vom Über-Tourismus betroffen. Auf Mallorca wurden wegen des „Sauftourismus’“ bereits harte Anstandsregeln und ein Verbot für Ferienwohnungen in Palma eingeführt. Die Insel strebt nun einen sanften, familienfreundlichen Tourismus an. Die kroatische Hafenstadt Dubrovnik wurde durch Game of Thrones weltberühmt. In der Serie dienten die mittelalterlichen Gassen häufig als authentische Kulisse. Seither wird die Stadt von Touristen überrannt und ringt um den Erhalt des mittelalterlichen Flairs. Die griechische Insel Santorin leidet, wie Venedig, vor allem wegen Kreuzfahrtschiffen unter Touristenmassen. Besonders der Ort Oia, in dem sich weiße Häuser mit blauen Fensterläden an den Hang schmiegen, ist hochfrequentiert. Mittlerweile wohnen kaum mehr Einheimische in der Ortschaft. Sie können sich die hohen Mieten nicht mehr leisten. Der Ort besteht fast ausschließlich aus Gasthäusern, Hotels, Souvenirshops und Cafés. In Südostasien leidet das Ökosystem unter den Touristen. Bekanntestes Beispiel ist die thailändische Insel Kho Phi Phi, deren Maya Bucht durch den Film The Beach mit Leonardo Di Caprio berühmt wurde. Die Bucht ist mittlerweile für Reisende gesperrt. Besichtigungen finden nur noch per Boot aus der Ferne statt. Auf den Philippinen wurde die Insel Boracay aus Gründen des Umweltschutzes für sechs Monate geschlossen. Nach der Wiedereröffnung setzte der Präsident hier ein Limit für die Besucherzahl fest.
Eine der absurdesten Entwicklungen bezüglich Overtourism wurde 2019 publik – an einem Ort, an dem es eigentlich niemand erwartete: im nepalesischen Himalaya-Gebirge. Mit 8.848 Metern der höchste Berg der Welt, wurde der Mount Everest früher nur von Extremsportlern bestiegen. Heute werden Besteigungen für jeden geboten, der es sich finanziell leisten kann. Die Expeditionsteams haben alle dieselbe Strategie und steigen bei gutem Wetter auf. In Folge stauen sich die Menschenmassen. Im Rekordjahr 2019 warteten an einem Tag rund 320 Menschen bis zu zwei Stunden in unmenschlicher Umgebung darauf, den Gipfel zu erreichen. Die Besteigung kostete bereits über 300 Menschen ihr Leben – 2019 waren es elf. Dies liegt vor allem an Sicherheitsmängeln: es werden zu viele Touristen auf den Berg gelassen und ihre Fitness sowie bergsteigerische Eignung nicht überprüft. Ein weiteres Problem ist der Müll. Was Bergsteiger und Sherpas mitbringen, bleibt meist im Gebirge zurück. Viele leere Sauerstoffflaschen und die gefrorenen Verstorbenen inklusive ihrer Ausrüstung säumen den Weg zum Gipfel.[6]
Angesichts der negativen Folgen des Massentourismus‘ ist es nicht verwunderlich, dass sich die Tourismusbranche im Wandel befindet. Immer mehr Menschen sehnen sich nach Individualität und Entschleunigung beim Reisen. Es ist eine Hinwendung zu Komfort und gutem Leben zu erkennen. Auch stehen Schnäppchen- und Pauschalreisen in keinem guten Licht, wenn Reisende beginnen ihr eigenes Handeln zu hinterfragen. Slow Travel und damit bewusster und nachhaltigerTourismus, ist ein Gegenmittel für Overtourism. Wenn Menschen in weniger frequentierte Urlaubsdestinationen reisen, im Idealfall auch abseits der üblichen Reisezeiten, verteilen sich die Menschenmassen. In den touristischen Hotspots können Umwelt und Einheimische aufatmen, während andere Orte und Regionen vom Tourismus profitieren.
[1] Vgl. Karyotakis, Minos-Athanasios, Martina Kiourexidou, Nikos Antonopoulos (2019): Media and YouTube Appeal in Social Movement Mobilization: The Case of Anti-Tourism Incident, In: https://mediawatchjournal.in/sep19/Media%20and%20YouTube%20Appeal%20in%20Social%20Movement%20Mobilization%20The%20Case%20of%20Anti-Tourism%20Incident.pdf (22.09.2020).
[2] Vgl. Hamm, Ingo (2018): “Tourists Go Home”: Unsustainable tourism in Venice, In: https://globalhobo.com.au/2018/07/02/tourists-go-home-unsustainable-travel-in-venice/ (22.09.2020).
[3] Vgl. Geille, Charlotte (2020): Ab Juli 2020. Tagestouristen müssen für den Besuch der Stadt Venedig Eintritt zahlen, In: https://www.express.de/news/panorama/ab-juli-2020–tagestouristen-muessen-fuer-den-besuch-der-stadt-venedig-eintritt-zahlen-33733632 (22.09.2020).
[4] Vgl. Rüb, Matthias (2020): Die ersten Touristen kehren zurück nach Venedig, In: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/wie-sieht-es-in-venedig-aus-wenn-die-ersten-touristen-zurueckkommen-16800395.html (22.09.2020).
[5] Vgl. ARD-aktuell (2021): Addio, Kreuzfahrtschiffe!, In: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/venedig-verbot-kreuzfahrtschiffe-101.html (16.07.2021).
[6] Vgl. Uniq GmbH (2020): Overtourism und seine Folgen. Wenn Tourismus schadet – Und was jeder von uns dagegen tun kann, In: https://www.urlaubsguru.de/reisemagazin/overtourism/ (22.09.2020).
Artikel von Anika Neugart.