Jakub Kaleta hat ein ungewöhnliches Hobby. Seit rund fünf Jahren erkundet er Höhlen auf eigene Faust. Es sind kleine Tagesausflüge, die ihn aus dem Alltag ganz schnell in eine fremde Welt befördern. Es ist Nervenkitzel und Naturerlebnis in einem – ein richtiges Abenteuer. Eine große technische Ausstattung benötigt er nicht: in der Regel reichen eine Stirnlampe und sein Smartphone aus. Die Höhlen fährt er mit dem Auto oder dem Fahrrad an. Es ist eine Form von Slow Travel. Denn in fast jedem Land gibt es Höhlen, die zugänglich sind. Expeditionen können meist direkt im eigenen Umkreis gestartet werden. Jakub ist hauptsächlich im Juragebirge in Polen und den Höhlen der Schwäbischen Alb unterwegs. Während Reisen in Südostasien und Griechenland hat er ebenfalls Höhlen erkundet. Abseits von den Sehenswürdigkeiten, die Touristen in den Ländern eigentlich besuchen. Er meint, dass sich alle Höhlen von Grund auf ähneln. Gleichzeitig sei jede Höhle jedoch einzigartig und habe Besonderheiten. Ich habe ihn zu seiner Leidenschaft befragt.
Was hat dich dazu bewegt, mit den Höhlen-Expeditionen anzufangen?
Mein Schwiegervater aus Tschenstochau in Polen nimmt seine Gäste sehr gerne auf Ausflüge ins nahegelegene Krakau-Tschenstochau Jura mit. Das ist ein Mittelgebirge, das bekannt ist für seine Kalkfelsen und Höhlen. Bei diesen Ausflügen sind wir immer wieder mit Taschenlampen in Höhlen eingestiegen. Das hat mir so gut gefallen, dass daraus eine Art Wahn entstand. Bei unseren Familienbesuchen in Polen wollte ich alle zugänglichen Höhlen in der Gegend auffinden und befahren[1]. Glücklicherweise habe ich dann bemerkt, dass es auf der Schwäbischen Alb auch viele wilde Höhlen gibt – also Höhlen ohne künstliche Beleuchtung und künstliche Wege für Touristen. Deshalb konnte ich das Hobby zu Hause fortsetzen. Ich fing damit an die Höhlen hierzulande zu erkunden. Seitdem schaue ich auch bei Reisen immer nach, ob es in der Gegend Höhlen zu entdecken gibt oder suche gezielt nach Orten, die man wegen einer interessanten Höhle aufsuchen könnte.
Welche Menschen interessieren sich deiner Meinung nach für Höhlen?
In einer wilden Höhle fühlt man sich immer wie ein Entdecker, der einen bizarren Ort erkundet, um dessen Existenz nur wenige Menschen wissen und nur die wenigsten ihn tatsächlich gesehen haben. Und das Tolle ist, man muss nicht in ferne Länder reisen oder viel Geld ausgeben, um dieses Gefühl zu haben, sondern kann es im Rahmen eines entspannten Tagesausflugs erleben. Ist jemand also neugierig, etwas Neues und Unbekanntes zu entdecken und mag dabei ein wenig Nervenkitzel, für den sind Höhlentouren genau das Richtige.
Wie findest du die Höhlen, die du besichtigen willst?
Für höhlenreiche Regionen gibt es meist Höhlenführer in Buchform[2], in denen man Informationen über Lage, Größe oder besondere Gefahren der Höhlen findet. Dort suche ich mir dann eine Höhle aus, die mich interessiert und schaue dann auf Online-Wanderkarten nach, wie ich am besten zu dem Eingang komme. Oft gibt es mehrere benachbarte Höhlen, sodass man bei einer Tour mehrere Höhlen besuchen kann.
Was für Vorbereitungen triffst du für die Expeditionen?
Am wichtigsten sind ein Helm, feste Schuhe und eine gute Lampe, am besten eine Stirnlampe, damit man die Hände frei hat zum Kriechen und Klettern. Einen Helm muss man immer anziehen, da es in den engen Höhlengängen immer wieder vorkommt, dass man mit dem Kopf an die Decke stößt. Außerdem können stets Steine von der Decke fallen. Gute Schuhe geben Halt auf nassen oder lehmigen Steinen. Zusätzlich zur Stirnlampe sollte man eine Ersatzlampe dabeihaben, falls die Lampe ausfällt. Für längere Höhlen ist warme Kleidung nötig, da die Temperaturen tiefer in der Höhle oft konstant kalt sind. Und man muss sich darauf einstellen, dass man durchnässt und schmutzig aus der Höhle kommt. Kriechen durch Wasser und Lehm sind keine Seltenheit. Viele Höhlen haben tiefe, senkrechte Schächte, die Abseiltechniken erfordern. Von diesen Höhlen sollte man ohne entsprechende Ausrüstung und Erfahrung die Finger lassen, sonst droht Lebensgefahr.
Wie genau gestaltet sich eine Höhlentour?
Manchmal besteht der schwierigste Teil darin, überhaupt den Höhleneingang zu finden. Man ist mit GPS und Karte in schwer zugänglichem Gelände unterwegs, sucht alle Felsspalten ab, bis man endlich das richtige Loch gefunden hat. Manchmal ist die Tour dann auch schon vorbei, weil die Höhle aus Naturschutzgründen mit einem Gitter verschlossen wurde. Findet man aber einen offenen Eingang, wird Helm und Stirnlampe angezogen und es kann losgehen. In der Nähe des Eingangs befinden sich fast immer große Höhlenspinnen mit ihren weißen Kokons. Fledermäuse sind eher selten zu sehen. Tiefer in der Höhle nimmt die Welt bizarre Formen an. Große Hallen wechseln sich ab mit engen Kriechgängen, manche Gänge ziehen sich scheinbar endlos hin, andere enden plötzlich in einem Versturz. Manche Hallen sind prächtig geschmückt mit Versinterungen, andere voll mit klebrigem Höhlenlehm. Die Zeit läuft anders in der Höhle – eine Strecke, die man draußen in einer halben Stunde zurücklegen würde, kann in schwierigen Höhlen einen halben Tag dauern. Oft ist es eine Herausforderung den weiteren Verlauf zu finden – man hat gelesen, dass irgendwo eine Fortsetzung sein soll, aber die Orientierung in den verwinkelten Gängen ist schwierig und man muss manchmal lange suchen bis man den richtigen Gang findet. Ein ganz besonderer Moment ist, wenn man wieder zum Ausgang kommt – da lohnt es sich das Licht auszumachen um zu spüren, wie es langsam wärmer wird, wie Gerüche von draußen wahrnehmbar werden und wie intensiv das Licht und die Farben der Außenwelt sind.
Muss man sportlich sein um Höhlenexpeditionen zu unternehmen?
Eigentlich ist für jeden etwas dabei. Viele Höhlen sind ja als Schauhöhlen eingerichtet, mit Beleuchtung und komfortablen Wegen, die jeder begehen kann. Auch bei den wilden Höhlen gibt es viele, in die man einfach gemütlich vom Wanderweg hineinspazieren kann. Etwas Trittsicherheit genügt. Sportlich wird es erst wenn man kriechen oder sich durch Engstellen zwängen muss. In den meisten Höhlen erfordert das aber eher Beweglichkeit und Überwindung als Sportlichkeit. Dabei haben es kleinere und schlankere Leute natürlich etwas einfacher. Aber es gibt auch sehr lange Höhlentouren, wie z. B. in der Falkensteiner Höhle auf der Schwäbischen Alb. Dort ist man dann Rund zwölf Stunden in kaltem Wasser unterwegs, muss sich durch enge Spalten pressen und über lehmige und rutschige Felsen klettern – das ist dann wie eine anspruchsvolle Bergtour und man sollte fit sein.
Sind Höhlenexpeditionen also für alle Menschen etwas?
Wenn jemand unter Platzangst leidet oder Angst im Dunkeln hat ist es vielleicht nicht das optimale Hobby. Wer es ausprobieren möchte, startet am besten mit Schauhöhlen – oder mit einer einfach begehbaren wilden Höhle, die neben einem Wanderweg liegt und gekennzeichnet ist. Auch weniger bekannte Höhlen lassen sich problemlos auf eigene Faust erkunden, wenn man vorsichtig ist. Gefährliche Höhlen sind meistens zugesperrt oder gekennzeichnet. Wenn man etwas Anspruchsvolleres probieren möchte, bieten sich geführte Höhlentouren an. Es gibt Touren für jedes Niveau von einfachen Familientouren bis zu mehrtägigen Extremtouren. Ich selbst habe eine organisierte Tour mit Guide in die Falkensteiner Höhle gemacht.
Machst du die Expeditionen immer allein oder auch in Teams?
Alleine sollte man das lieber nicht machen – es gibt in der Höhle keinen Handyempfang und wenn etwas passiert sollte man jemanden dabeihaben, der Hilfe holen kann. Also nehme ich mir meistens jemanden mit. Manchmal gehe ich auf organisierte Höhlentouren, da ist man dann als Gruppe mit Guide unterwegs. Es gibt auch entsprechende Vereine, die Expeditionen organisieren, aber das habe ich bisher noch nicht probiert.
Gab es schon einmal gefährliche Situationen – einen Unfall oder eine Notsituation?
Bisher zum Glück nicht. Allerdings sollte man sich vor jeder Höhlenbefahrung mit den Besonderheiten und Gefahren der Höhle vertraut machen. Gibt es Schächte in die man abstürzen könnte? Gibt es einsturzgefährdete Bereiche? In wasserführenden Höhlen, wie der Falkensteiner Höhle, können Anstiege des Wasserpegels durch Regen den Rückweg abschneiden. Also muss auch die Wettervorhersage im Blick behalten werden. Außerdem sollte man jemandem Bescheid geben in welche Höhle man geht.
Schadet es einer Höhle, wenn sie von Menschen durchwandert wird?
Höhlen sind sehr fragile Orte und Ökosysteme. Eine unachtsame Berührung kann Tropfsteine zerstören, die tausende Jahre gebraucht haben um zu wachsen. Eine Störung von Fledermäusen im Winterschlaf kann für sie lebensgefährlich sein. Darum ist das Betreten von Höhlen in Deutschland im Winter verboten (von November bis April). Leider findet man in vielen Höhlen Müll, Schmierereien an der Wand und zerstörte Tropfsteine.
Was gefällt dir so gut an Höhlenexpeditionen?
Höhlen gehören zu den wenigen Orten, die sich nicht wirklich durch Fotos oder Youtube-Videos fassen lassen. Man muss selbst drin gewesen sein um einen echten Eindruck vom Charakter und Verlauf einer Höhle zu bekommen. Und mit jedem neuen Gang und jedem Raum wird man immer wieder überrascht. Man bekommt nie einen Überblick über das Ganze, sondern muss sich die Höhle Stück für Stück erarbeiten und sie entdecken. Durch ihre Fremdartigkeit fühlt man sich in Höhlen manchmal wie auf einem anderen Planeten, obwohl man nur ein paar Kilometer vor der Haustür ist.
Gibt es eine Höhle, die du unbedingt gerne einmal besichtigen würdest?
Definitiv sind das die großen Höhlen zwischen Laos und Vietnam. Z. B. die Sơn-Đoòng-Höhle, die den größten bekannten Höhlengang (Querschnitt 250 x 150 m) hat. Oder das Hölloch in der Schweiz, das mit seinen 200 km langen Gängen auch mehrtägige Höhlentouren mit Übernachtung in der Höhle bietet.
Was hast du über dich selbst gelernt durch die Expeditionen?
Schwer zu sagen. Vielleicht, dass man sich bei einer Höhlentour in die Kindheit zurückversetzen kann. Auf Entdeckungstour gehen und sich dabei richtig schmutzig machen!
Siehst du dich selbst als Slow Traveller?
Teilweise. Ich liebe es abseits von ausgetretenen Pfaden zu reisen, Orte zu besuchen, die nicht in jedem Reiseführer stehen, nicht in Hotels zu übernachten, sondern in privaten Unterkünften, in denen man Menschen begegnet, die tagtäglich an dem Ort leben – Orte mit dem Fahrrad oder zu Fuß erreichen, statt mit dem Mietwagen oder Taxi. Andererseits möchte ich immer möglichst viel in kurzer Zeit erleben und entdecken, wodurch das Reisen nicht immer slow und achtsam ist.
Was hältst du von Slow Travel als Reiseform?
Höhlentouren können durchaus Slow Travel sein. Man entdeckt Exotisches vor der eigenen Haustür und für wenig Geld. Man kann sich mit allen Sinnen auf die Höhle einlassen, muss schmutzig und nass werden, um ans Ziel zu gelangen. Man kann tief in die Erdgeschichte eintauchen und Respekt für unsere fragile Natur lernen, die Jahrtausende gebraucht hat, um den wunderschönen Tropfsteinschmuck zu erschaffen. Sich klein fühlen in einem großen Raum und dabei auf die kleinen Tiere achten, deren Lebensraum man betritt und sich bemühen sie nicht zu stören.
Jakubs Tipps zur Höhlen-Recherche
- Berichte von Höhenexpeditionen mit Fotos und viel Humor: Caveseekers
- Höhlenforscher-Verein auf der Schwäbischen Alb: Arge Grabenstetten
- Gute Liste mit Höhlen der Schwäbischen Alb: Cojote Outdoor
- Online-Karten für die Alb mit eingezeichneten Höhleneingängen und Wanderwegen:
[1] Im Höhlenjargon spricht man vom „Befahren“ einer Höhle, vermutlich weil „Begehen“ etwas unpassend wäre. Höhlentouren bestehen vielmehr aus Kriechen, Robben, Klettern, Abseilen oder Tauchen.
[2] z. B. Höhlenführer Schwäbische Alb von Hans Binder und Herbert Jantschke (Keine bezahlte Werbung, sondern Hinweis des Interviewpartners).
Interview von Anika Neugart